Das SEHEN mal anders erklärtrlx - 01. Juli 2004 Das, was wir unter 'erleuchten Blick' verstehen, unterscheidet sich so sehr von dem gewöhnlichen Blick, das es wohl die Vorstellungskraft derjenigen, der noch nie ein solches Erlebnis gehabt haben, noch mehr übersteigen wird als die zuvor erörterten Blickvarianten. In der Literatur bezeichnet man das zu beschreibende Phänomen auch als 'reines', 'kosmisches', 'holographisches', 'erleuchtetes Sehen'. Andere Autoren gebrauchen schlicht das Wort 'SEHEN', wobei dieses Wort in der Schriftsprache durch besonderen Druck hervorgehoben wird; so z. B. von CASTANEDA (1976), der sich, wie schon erwähnt, auf die Lehre des indianischen Schamanen DON JUAN bezieht, und von dem zenbuddhistischen Philosophen IZUTSU (1986). Wir versuchen diese höchste Form des Sehens im folgenden unter Bezug auf die genannten Attribute 'rein', 'kosmisch', 'holographisch', 'erleuchtet', soweit wie möglich, zu veranschaulichen. 1. Bei der Beschreibung des gewöhnlichen phänomenalen Sehvorgangs, wurde betont, daß das erlebte Ich der Ursprung der Blickstrahlen ist, die auf eine Stelle im Sehfeld gerichtet sind. Nun ist das hier gemeinte SEHEN in dem Sinne rein oder pur, als es sowohl frei von einem sehenden Subjekt (dem phänomenalen Ich) als auch frei von einem gesehenen Objekt oder 'Gegen-Stand' ist und somit eben nur als reine Aktivität enebt wird. 2. Unter dem Attribut 'kosmisch' versteht man das Erlebnis des Elnswerdens des phänomenalen Ichs mit dem gesamten (phänomenalen) Kosmos, der zumeist als zeitlich und räumlich unbegrenzt erlebt wird. Je nach Weltanschaung deutet man diese Erlebnis unterschiedlich und gebraucht entsprechend statt des Ausdrucks 'Kosmos' auch andere Termini. So sprechen die Mystiker der monotheistischen Religionen vom 'Einswerden mit Gott', (wz 17.10.92 unio mystica) die Buddhisten vom Einswerden mit Buddha, einige moderne Psychotherapeuten vom 'Einswerden mit dem höheren Selbst'. Da ich aber die diesbezüglichen Anschauungen der Mystiker, Buddhisten und Psychotherapeuten nicht teile, behalte ich den Ausdruck 'Kosmos' bei, zumal bei den geschilderten Erlebnissen insbesondere auch die Ordnung und Schönheit des (phänomenalen) Alls erlebt wird, was dem ursprünglichen Sinn des aus dem Griechischen entlehnten Worts 'Kosmos' entspricht. 3. Das Attribut 'holographisch' soll darauf hindeuten, daß bei dem betreffenden Erlebnis ähnlich wie bei einem holographischen Bild jeder Teil das Ganze (an Informationen) enthält. Dieses Erlebnis wurde anderseits schon Jahrtausende vor der Entdeckung des Hologramms als Erfahrung des 'Alles in Einem - Eines in Allem' beschrieben. Zur Veranschaulichung bezog man sich früher meist auf das Bild mehrfacher Widerspiegelungen (vgl. das untenstehende Zitat von IZUTZU). 5. Der Aspekt der Erleuchtung weist zugleich auf lichtartige optische Erfahrungen (im Sinne von Erlebnissen des Strahlens, des Durchscheinens sowie der Helligkeit) als auch auf intuitiv-schöpferische Erfahrungen der vollkommenen Ein- und Durchsicht bzw. des vollkommen Ein- und Durchblicks hin. Letzteres macht es auch verständlich, daß bei CASTANEDA (1976) das SEHEN mit WISSEN in Verbindung gebracht wird (man beachte zudem, daß 'wissen' mit dem lateinischen Verb 'videre' [= sehen] etymologisch verwandt ist). Am ausführlichsten und systematischsten ist der Begriff des SEHENS wohl von IZUTSU (1986) erläutert worden. Wir beschränken uns hier auf ein kurzes Zitat, in dem anderseits die meisten Aspekte der besonderen Erfahrung des SEHENS erläutert werden. Der Autor schreibt: 'An dieser Stelle verlieren alle Dinge ihre wesentliche Begrenzung. Und da fließen alle Dinge ineinander, einander widerspiegelnd und voneinander widergespiegelt in dem genzenlos ausgedehnten Feld des Nichts ... das Erfahren des Nichts (bedeutet) nicht etwa, daß das Bewußtsein unbesetzt und leer wird. Ganz im Gegenteil, das Bewußtsein 'ist' durch sich selbst in der unverdorbenen Reinheit, reines Licht oder einfache Erleuchtung, durch sich selbst erleuchtet und sich selbst erleuchtend. Es ist das SEHEN.' IZUTSU, der das Bewußtsein ähnlich wie die Gestalttheorie als dynamisches Kraftfeld auffaßt, bezeichnet die Erfahrung des SEHENS auch als 'Überbewußtsein'. Unserer Ansicht nach ist es eine günstige Voraussetzung für das Auftreten dieser tiefgreifenden bewußtseins- und persönlichkeitsentfaltenden Erfahrung des 'Überwußtseins', zuvor das 'Unterbewußtseinl' durch Bewußtmachung auszulöschen, wodurch sich die aktive Auseinandersetzung mit den im Klartraum 'aus dem Unterbewußtsein aufsteigenden Bildern' in hervorragender Weise eignet ... Nach diesem aktiven Eingreifen in das Klartraumgeschehen ist es dann aber notwendig zu einem passiven Schauen überzugehen, um schließlich zur Erfahrung des SEHENS im beschriebenen Sinn zu gelangen. Uns erscheint es deshalb nicht verwunderlich, daß sich solche Erlebnisse bei geübten Klarträumern einstellen, was die tibetanischen Yogis schon wußten (CHANG, 1963) und durch die neuere Klartraumforschung ... bestätigt wurde. Allerdings ist es hierfür, wie gesagt, notwendig, vom willentlichen aktiven Eingreifen in das Klartraumgeschehen zu einem völlig hingebungsvollen passiven Schauen überzugehen, wenn sich die Erfahrung des SEHENS einstellen soll. In den altindischen und tibetanischen Schriften wird diese Erfahrung auch etwas mißverständlich als 'traumloser Schlaf' bezeichnet. Dies darf aber nur im Sinne des Verschwindens der Traumbilder verstanden werden, das 'reine Bewußtsein' bleibt erhalten, ja es entfaltet sich zum Überbewußtsein im Sinn von IZUTSU, das übrigens im Gegensatz zu gewöhnlichen Träumen während des gesamten Schlafs beibehalten werden kann. Aus "Blick-Varianten im Wach- und Traumzustand" von Paul Tholey (1992) Quelle: Das SEHEN mal anders erklärt |